Zwischen Juni und Dezember 2022 nahmen fast 3.000 Beschäftigte in 61 britischen Unternehmen aus allen Bereichen – von Marketing und Werbung über Finanzwesen und Produktion bis hin zu Lebensmittelbranche und Einzelhandel – an dem landesweit größten Experiment zur Vier-Tage-Woche teil.
Die ganze Welt hat dabei zugesehen und darauf reagiert. Die meisten stürzten sich dabei auf die Schlagzeile, dass sich mehr als 90 % der teilnehmenden Unternehmen für eine kürzere Wochenarbeitszeit entschieden haben, 18 davon haben sie dauerhaft eingeführt.
Eine britische Zeitung bezeichnete das Experiment als „riesigen Durchbruch“ und hob vor allem die wahrgenommenen Verbesserungen bei der Work-Life-Balance hervor. Die meisten der Arbeitgeber, die an dem Projekt teilgenommen haben, geben an, dass sie die Produktivität aufrechterhalten und gleichzeitig die Bindung und das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden verbessern konnten. Viele sahen darin eine verantwortungsbewusste Reaktion der Führungsebene auf das durch die Pandemie verursachte Burnout ihrer Mitarbeitenden und eine Möglichkeit, der großen Kündigungswelle entgegenzuwirken.
Das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden ist für viele Unternehmen in den Mittelpunkt gerückt, auch da es eine zentrale Rolle für ihr Engagement spielt. Deshalb wird alles, was die Arbeitsmoral und Bindung steigert, als potenzieller Wettbewerbsvorteil betrachtet. Der Vorstandsvorsitzende einer Bank sagte dazu: „Die Stimmung hat sich wirklich verändert. Mitarbeitende sagen jetzt: ‚Wow, ich arbeite wirklich für ein tolles Unternehmen.‘“
Sehen wir uns die Zahlen einmal genauer an. Das Pilotprojekt lief für sechs Monate und beruhte auf dem 100-80-100-Modell. Das bedeutet, die Beschäftigen erhielten 100 % Gehalt für 80 % ihrer bisherigen Arbeitszeit und verpflichteten sich im Gegenzug, 100 % ihrer Produktivität aufrechtzuerhalten.
Der Unternehmensumsatz blieb im Großen und Ganzen stabil, die Zahl der Krankheitstage ging um 65 % zurück, und 71 % der Mitarbeitenden berichteten über ein geringeres Burnout-Niveau. Von den 61 teilnehmenden Unternehmen gaben 56 an, dass sie die Vier-Tage-Woche nach dem Pilotprojekt weiter testen werden, während 18 sich zum Ziel setzten, die Umstellung dauerhaft vorzunehmen.
Das sind beeindruckende Zahlen, aber überraschen sie uns? Das Konzept der Vier-Tage-Woche hat weltweit an Fahrt aufgenommen. Das Weltwirtschaftsforum zitiert eine Umfrage des Personalvermittlungsunternehmens Reed aus dem Jahr 2021, wonach „80 % der Menschen im Vereinigten Königreich eine Vier-Tage-Woche bevorzugen würden“.
Seit November 2022 haben Vollzeitbeschäftigte in Belgien (sowohl Angestellte als auch Arbeiter*innen) das Recht auf eine Vier-Tage-Woche. Im Rahmen dieser Regelung können Vollzeitbeschäftigte ihren Arbeitgeber bitten, ihre übliche Vollzeit an vier (längeren) Arbeitstagen statt an fünf abzuleisten. (Sie haben auch das Recht, nach Feierabend nicht mehr erreichbar zu sein und alle Anfragen ihres Vorgesetzten ohne Konsequenzen zu ignorieren – was für offensivere Führungskräfte in anderen Ländern ein Schock sein dürfte). Ein von Unilever in Neuseeland durchgeführtes Experiment führte zu einem Rückgang der Fehlzeiten um 34 %, während sich in den USA die Zahl der Beschäftigten, die eine Vier-Tage-Woche in Anspruch nehmen, zwischen 1973 und 2018 verdreifacht hat – Tendenz weiter steigend.
Doch ist alles nur positiv? Nicht unbedingt. Die BBC untersuchte auch Unternehmen, bei denen das Konzept nicht funktioniert hat. Bei manchen trug es zusätzlich zum Burnout bei. Der Geschäftsführer eines Ingenieurbüros erklärte gegenüber Reporter*innen: „Wir haben festgestellt, dass Beschäftigte zehn normale Arbeitstage in neun extreme eingetauscht haben. An ihren freien Tagen waren sie völlig erschöpft.“ Für andere ist das Konzept einfach nicht realistisch, da ihr Unternehmen auf Flexibilität angewiesen und es schwierig und teuer ist, Mitarbeitende an ihren freien Tagen zu ersetzen.
Letztes Jahr wurde in Davos darüber diskutiert, dass die traditionelle Auffassung der Arbeitswoche „genauso altmodisch wie ein Ford Modell T“ und entsprechend untauglich sei. Die Vier-Tage-Woche ist für viele ein Schritt in die richtige Richtung, der immer mehr Zuspruch erhält. Unklar ist jedoch, welche Konsequenzen die wahrscheinlichen Auswirkungen eines zunehmend schwierigen wirtschaftlichen Umfelds und der KI auf die Beschäftigung haben werden. Doch das ist eine andere Geschichte, die mit größeren, globalen und sozialen Fragen und Problemen zusammenhängt und die wir in einem zukünftigen Beitrag untersuchen werden.