Monique van Dusseldorp aus Amsterdam ist eine vielbeschäftigte Veranstaltungsfachfrau, die Konferenzen zu den Themen Technologie, Medien und Innovation organisiert. Die Suche nach neuen Event- und Panel-Ideen war schon immer Bestandteil ihres Arbeitsalltags.
In jüngster Zeit hat van Dusseldorp jedoch ein neues Verfahren angewendet, um Inspirationen zu entdecken. An einem arbeitsreichen Morgen im November setzte sie sich an ihren Computer und tippte folgende Frage: „Kannst du ein immersives Erlebnis entwickeln, das Menschen zusammenbringt und sich um das Werk des berühmten Illustrators Roland Topor dreht?“
Kurz darauf flackerte eine Antwort über den Bildschirm. Sie lautete:
Ich schlage einen „Surrealen Spaziergang im Grünen“ in einem öffentlichen Park oder botanischen Garten vor. Von Topors Kunstwerken inspirierte Skulpturen und Installationen sorgen für eine kapriziöse und etwas unheimliche Atmosphäre. Aus versteckten Lautsprechern erklingen surreale Klangwelten und die Skulpturen bewegen oder verändern sich auf subtile Weise, wenn sich ihnen Personen nähern.
Van Dusseldorp fragte weiter: „Mit welchen Medien und Technologien könnten wir solche immersiven Erlebnisse umsetzen? Die Antwort:
Zum Beispiel mit räumlichem Audio: Mithilfe der 3D-Soundtechnologie lässt sich eine realistische und immersive Umgebung für die Zuhörer*innen schaffen, in der sich das Audio dynamisch zu den Bewegungen der Nutzer*innen ändert.
Es handelt sich hierbei nicht um Informationen auf einer Webseite oder um die Antwort von fachkundigen Kolleg*innen in einem Branchenforum. Vielmehr unterhielt sich van Dusseldorp mit ChatGPT, um Ideen zu finden und Recherchen zu betreiben.
Van Dusseldorp ist eine von Millionen Fachkräften weltweit, die Large Language Models (LLMs) als Arbeits-Tools einsetzen. Diese Technologie ist soweit, das Lern- und Wissensmanagement zu revolutionieren – vom Austausch von Informationen und Fachwissen in Großunternehmen bis hin zur kontinuierlichen beruflichen Weiterbildung und dem Kompetenzausbau für Einzelpersonen. Und auch die Implikationen für die traditionelle Bildung und Weiterbildung sind enorm.
Für die Weiterbildung sind die Auswirkungen der LLMs ebenso bedeutend wie z. B. die Einführung des Internets in den späten 1990er-Jahren. Sie bringen einen transformativen Wandel mit sich, wie wir Wissen sichern, damit umgehen und es weitergeben. Wie also nutzen Fachkräfte aus Wirtschaft und Wissenschaft gegenwärtig LLMs? Welche Rolle spielen diese Tools für große Organisationen? Und was bringt die Zukunft?
Wir alle wissen, dass LLMs in den letzten Jahren für große Aufregung gesorgt haben. Und sicher, manches davon – vom Gerede über Untergangsszenarien bis hin zu Vorhersagen über eine bevorstehende Superintelligenz – spricht für einen weiteren Technologie-Hype. Aber hinter diesen Schlagzeilen werden LLMs bereits von vielen ernsthaft genutzt.
LLMs basieren auf Transformationsmodellen, einer besonderen Art von neuronalem Netz, das sich selbst Informationen über die zugrunde liegenden Muster in sequenziellen Daten ziehen kann. Wenn sie mit großen Textmengen trainiert werden, lernen diese Transformationsmodelle die tiefgreifenden statistischen Beziehungen zwischen Wörtern und ihrer üblichen Verwendung in Sätzen kennen. Das Ergebnis ist eine KI mit einer erstaunlichen linguistischen Kompetenz, die Eingaben in natürlicher Sprache verstehen und daraufhin Texte generieren kann, die relevant, detailliert und zudem offenbar sinnvoll sind.
Das macht LLMs – man denke an GPT-4 oder Metas Llama 2 – zu einem nahezu einmalig flexiblen Wissensinstrument. Ein Instrument, das Zugang zu riesigen Informationsmengen hat und zugleich in der Lage ist, natürlich klingende Textantworten aller Art zu erstellen.
Das Verfassen von Texten – E-Mails, Präsentationen und Berichte – ist ein klarer Anwendungsfall für den Arbeitsplatz. Aber mittlerweile bauen viele Fachleute auch ihre Forschung und fortlaufende Lernmethoden um diese Tools herum auf.
Henry Coutinho-Mason ist Futurist und Referent. Vor Kurzem trainierte er LLM mit zwei seiner eigenen Bücher über Verbrauchertrends und Innovation. Nun nutzt er die daraus resultierende App als Tool für seine Recherchen:
„Ich stelle der App Fragen wie ‚Was hältst du von dem neuen KI-Pin von Humane? Erkläre die Trends hinter dieser Innovation.‘ Die App antwortet zunächst mit ersten Ideen und Erkenntnissen“, sagt Coutinho-Mason.
„Meine Arbeit soll Fachkräfte inspirieren, sich die Zukunft vorzustellen und darüber nachzudenken, was das für sie bedeutet. Die Weiterbildung mithilfe neuer Technologien und Innovationen ist deshalb ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Mein persönliches LLM hilft dabei sehr.
„Es ist aber wichtig für die Menschen, zu verstehen, dass sie in solchen Apps nicht vom LLM ‚die richtige Antwort‘ erwarten können“, fährt er fort. „Vielmehr sollen sie uns Denkanstöße liefern und ganz allgemein Einblicke in neue, innovative Technologien verschaffen. Diese Ergebnisse kann ich dann verfeinern. So macht das LLM meine Weiterbildung und Forschungsarbeiten effizienter.“
Kein Wunder also, dass auch große Organisationen interne Tools testen, die auf LLMs basieren. Und dies bietet sogar noch mehr Möglichkeiten, die Weiterbildung schneller, besser und effizienter zu gestalten.
Große Unternehmen haben oft ganz bestimmte Schwierigkeiten beim Lern- und Wissensmanagement. Fachwissen und informelles Know-how wird meist an vielen Stellen des Unternehmens und auf ganz unterschiedliche Art gespeichert, beispielsweise in Form von Dokumenten, Präsentationen oder Tabellenkalkulationen. Selbst erfahrene Mitarbeitende brauchen mitunter Stunden, Tage oder sogar Wochen, bis sie die richtige Wissensquelle oder Person gefunden haben.
Manche Unternehmen entwickeln nun eigene LLMs als neue Möglichkeit, diese Herausforderung anzugehen. Im August kündigte das Beratungsunternehmen McKinsey Lilli an, ein LLM, das auf geschützte Inhalte ausgerichtet ist, die über 100.000 Dokumente enthalten. Es soll den Mitarbeitenden von McKinsey einen neuen Zugang zu dem riesigen Fundus an branchenspezifischem Wissen, Daten und mehr bieten, den die Gruppe über Jahrzehnte hinweg angesammelt hat.
„Mit Lilli können die Berater*innen von McKinsey über die Technologie auf unser gesamtes Wissen und unsere Ressourcen zugreifen … Das ist nur der erste von vielen Anwendungsfällen, mit denen wir unser Unternehmen neu aufstellen“, sagt Jacky Wright, Chief Technology and Platform Officer bei McKinsey.
Associate Partner Adi Pradhan nutzt Lilli als Lernwerkzeug: „Ich arbeite mich mit Lilli in neue Themen ein und stelle Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen meiner Projekte her“, verriet er. „So spare ich bis zu 20 % meiner Vorbereitungszeit für Besprechungen. Aber viel wichtiger ist, dass ich dadurch die Qualität meines Fachwissens und meiner Beiträge verbessern kann.“
McKinsey ist bei Weitem nicht das einzige Unternehmen, das diese neuen Horizonte erkundet. Morgan Stanley trainierte GPT-4 mit Wissen zu ihren Investitionen, Geschäftsabläufen und Investmentprozessen und erstellte eine Conversational AI, die ihren Finanzberater*innen bei Fragen weiterhilft. Der Finanzriese Bloomberg erstellte das LLM Bloomberg GPT, das mit unternehmenseigenen Finanzdaten trainiert wurde und den Mitarbeitenden sowie ausgewählten Kund*innen zur Verfügung steht.
Das ultimative Ziel? Schon bald werden viele Beschäftigte den Zugriff auf diese KI-gestützten Konversationseinheiten voraussetzen. Wir können uns diese als Assistenten am Arbeitsplatz vorstellen – einen Ratgeber und Lernbegleiter, der uns rund um die Uhr zur Seite steht. Damit werden wir die Art und Weise revolutionieren, wie wir Wissen austauschen und aufnehmen. Diese Begleiter werden sich zu wichtigen Lerninstrumenten für Beschäftigte entwickeln – und sie werden eine Schlüsselrolle bei der Einarbeitung und Weiterbildung neuer Mitarbeitender einnehmen.
LLMs verändern die Weiterbildung nicht nur für Unternehmen. Auch im klassischen Bildungsbereich konnten wir schon immense Veränderungen beobachten.
Spricht man mit Lehrkräften, wird schnell klar, dass manche dieser Veränderungen eine Herausforderung darstellen. So entstand dadurch beispielsweise eine neue Form des Plagiats – Studierende reichen Arbeiten ein, die gänzlich oder überwiegend von einer KI erstellt wurden. Daraufhin wurden neue Tools entwickelt, die KI-generierte Texte erkennen sollen. Doch ebenso schnell, wie diese Tools entstehen, finden Studierende neue Wege, sie zu umgehen.
Dieses Rennen scheint kein Ende zu nehmen. Auf lange Sicht machen es die zunehmenden LLM-Plagiate jedoch erforderlich, dass die Lehrkräfte neue Wege finden, Kursarbeiten zu vergeben und zu bewerten, z. B.: „Schreibe einen Aufsatz zu diesem Thema und halte anschließend ein 15-minütiges Referat, in dem du die wichtigsten Argumente deines Aufsatzes darlegst.“
Bis es soweit ist, müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass LLMs zu inhaltlichen Fehlern – sogenannten „Halluzinationen“ – neigen. Wir können uns daher nicht auf ihre Antworten verlassen und andere Informationsquellen außer Acht lassen. Doch mit der sich ständig verbessernden Technologie sinkt auch die Rate der „Halluzinationen“, und dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen.
Aaron Woodcock ist Dozent am International Study and Language Institute der Universität Reading. Er organisiert Studienmodule für Lehrpartner*innen in China, die ihren MINT-Bachelor-Kandidat*innen Englisch für Akademiker*innen beibringen. Das bedeutet viel Vorbereitung.
„Bis vor Kurzem musste ich nur ein oder zwei Module zusammenstellen. Nun arbeiten wir zu zweit an sieben Modulen, sodass wir viel mehr Kurse vorbereiten müssen“, sagt er. „Mithilfe des LLMs bin ich um einiges produktiver geworden. Ich unterhalte mich mit der KI und teile ihr ein paar meiner Notizen und Konzepte mit. Dann spielen wir uns gegenseitig Ideen zu, bis wir eine Unterrichtsstunde entworfen haben. Anschließend bitte ich die KI, die Unterrichtsstunde als Lehrplan auszuformulieren, an dem ich dann weiterarbeite.
„Zwar dauert es noch immer etwa zwei Stunden, einen Lehrplan für eine Unterrichtsstunde zu entwerfen, aber durch die KI ist der Einstieg um ein Vielfaches einfacher. Und das beschleunigt meinen Workflow insgesamt. Außerdem habe ich zu den Lehrplänen gutes Feedback von den Lehrkräften erhalten, die sie anwenden.“
„Durch die KI ist mir aufgefallen, dass mir das Schreiben schon immer schwergefallen ist und ich Aufgaben, für die ich schreiben musste, immer bis zum letzten Moment aufgeschoben habe. Die KI ändert das und hat meine Arbeitsweise wirklich verbessert.“
Woodcock nutzt außerdem ein LLM, um Erkenntnisse aus umfassendem Feedback von Studierenden zu verarbeiten und synthetisieren. Der Umgang mit solchem Feedback und die Reaktion darauf ist heute ein wichtiger Bestandteil des Alltags von Akademiker*innen und Lehrkräften im Hochschulbereich.
„Die KI erkennt sofort Muster in dem Feedback, die mir wahrscheinlich erst nach Tagen aufgefallen wären“, erklärt er. „Daher konnten wir schnell Maßnahmen aus dem Feedback der Studierenden ableiten und diese dann über mehrere Monate hinweg umsetzen. Dem Studiengang hat das sehr gutgetan, und mir hat es bei der Berichtserstellung und dem konstruktiven Feedback an die Lehrenden in meinem Umfeld geholfen.“
Und wie sieht es mit der KI-Plagiatsproblematik aus? „Ja, diese Herausforderung besteht definitiv, wenn Studierende KI nutzen“, sagt Woodcock. „Doch ich sehe das als Chance, uns davon zu lösen, schriftliche Aufsätze und wiedergekäutes Wissen von ihnen zu verlangen.“
Die Universität Reading und viele andere akademische Einrichtungen ermutigen Lehrkräfte nun, neue Formen der Weiterbildung und der Bewertung zu erkunden, unter anderem im direkten Gespräch.
„Diese Technologie wird nicht verschwinden. Wir möchten die Studierenden ermutigen, die KI auf positive Art und Weise zu nutzen“, so Woodcock. „LLMs haben das Potenzial, Vielfalt und Inklusion zu fördern. Sie können Menschen helfen, die sich schriftlich nicht so gut ausdrücken können, aber dennoch viel zu bieten haben. Natürlich wird es immer Personen geben, die versuchen, die Arbeit anderer als ihre eigene auszugeben. Aber das unterscheidet sich nicht wesentlich vom Kauf eines Aufsatzes im Internet, was bisher schon passierte.“
Wohin führt das alles langfristig? Die neue Generation von Studierenden wird routinemäßig mithilfe von LLMs recherchieren, lernen und Texte verfassen.
Nach Abschluss ihres Studiums werden diese Studierenden erwarten, dass sie das Gleiche an ihrem Arbeitsplatz tun können. Dies wird für Arbeitgeber zum weiteren Anreiz, eigene, auf das Unternehmen zugeschnittene KI-Modelle zu trainieren und diese als Begleit-Tool einzusetzen, das den Beschäftigten rund um die Uhr mit Wissen und Rat zur Seite steht.
Die Zukunft gehört denjenigen Unternehmen – und einzelnen Fachkräften –, die am besten in der Lage sind, ihre eigene Intelligenz und Kreativität mit der KI zu kombinieren, um mehr zu lernen, weiter vorauszuschauen und noch bessere Ergebnisse zu erzielen.
Wir Menschen sind einzigartig in unserer Fähigkeit, Wissen zu entwickeln, zu speichern und zu verbreiten. Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für unsere erstaunliche Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen im großen Umfang, welche wiederum die Basis für alles ist, was wir entwickeln: Innovationen, Unternehmen, Universitäten, Nationen und alles dazwischen.
Und seit jeher haben unsere Wissens-Tools unsere Gesellschaften geformt und mitgestaltet – von der Einführung der Schrift selbst über die Druckerpresse bis hin zum Computer.
Die LLMs und maschinelle Intelligenz im weiteren Sinne werden mit Sicherheit eigene Veränderungen mit sich bringen – und wir stehen erst am Anfang der Reise. Es gibt noch so viel zu tun und so viel zu lernen.
Es ist offensichtlich, dass die Anwendung, die Implementierung und die Implikationen der LLMs für die Zukunft eine neue Ära der Produktivität am Arbeitsplatz einläuten werden. Von weiteren faszinierenden Innovationen, die verändern werden, wie wir in Zukunft arbeiten, erfährst du in unserem Gespräch mit David Mattin zu aufkommenden Mega-Tech-Trends in der Arbeitswelt.
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