Stell dir vor, du besichtigst ein Gebäude, das deine Baufirma gerade errichtet. Das Gebäude selbst ist offen. Die Ausrüstung ist noch nicht eingetroffen. Die Farbeimer sind noch verschlossen. Doch bald wird es das Branchen-Flaggschiff deines Kunden.
Während du dich weiter umsiehst, staunst du, wie viel Zeit und Geld allein in die Errichtung des Rohbaus geflossen ist. Du gehst zu der Stelle, an der die Treppe gebaut werden soll – und stellst fest, dass sie direkt in eine Wand führt.
Nicht in ein Büro. Nicht zu einem Arbeitsplatz. Sondern auf eine Wand zu. Und schon ist das Projekt wieder auf dem Zeichentisch gelandet. Das ist die Treppe ins Nirgendwo. Und so komisch das klingen mag – solche Fehler kommen häufiger vor, als man denkt.
Angel Say ist Mitbegründer von Resolve, einer Virtual-Reality-App, die eine Revolution für die Baubranche eingeleitet hat. In den letzten Jahren halfen er und seine Kolleg*innen den Bau-Teams, alle möglichen Fehler aufzuspüren, von fehlenden Türen über falsche Abmessungen bis hin zu Treppen ins Nirgendwo.
Wie haben sie das geschafft? Indem sie die Art und Weise, wie Baupläne genehmigt werden, von Grund auf neu gedacht haben.
Angel hat erkannt, dass Fehler dieser Art nicht auf mangelndes Wissen oder fehlende Kompetenzen zurückzuführen sind. Ihre Ursache ist vielmehr ein mangelhaftes Nutzungserlebnis. „Früher öffneten die Teams ein Modell am Computer und mussten sich dann in das Gebäude hineinversetzen und wichtige Entscheidungen genehmigen oder ablehnen“, erklärt er.
Aber wie wäre es, wenn sie sich Gebäude nicht einfach nur vorstellen, sondern sich mithilfe von Virtual-Reality-Software regelrecht hineinversetzen könnten? Dieser Gedanke diente als Grundlage für die Entwicklung von Resolve – dem Programm, das es Angel zufolge ermöglicht, „durch Gebäude zu gehen, bevor diese gebaut werden.“
Die App erstellt einen digitalen Zwilling für BIM (Building Information Modeling)-Dateien. Mithilfe eines VR-Headsets können Teams sich in die Baupläne hineinversetzen, an Entwürfen arbeiten und Fehler ausfindig machen – eine revolutionäre Ressource, für deren Entwicklung ebenso revolutionäre Schritte erforderlich waren.
„Wir hatten zuvor bereits mit dem Meta-Team zusammengearbeitet und erhielten ein Early-Developer-Kit für die Quest“, erklärt Angel. „Zuallererst stellte sich für uns die Frage, ob wir diese Modelle überhaupt mit dem Gerät öffnen könnten. Als wir endlich einen Weg fanden, hatten wir zunächst einen Grund zum Feiern. Das hat sogar manche unserer Geschäftspartner überrascht, da sie diese Dateien nicht einmal auf ihren Laptops öffnen konnten.“
Angels Interesse an Virtual-Reality-Software begann – wie für viele andere – mit Videospielen. Doch als sich die Technologie immer weiter entwickelte, fragte er sich bald, wie man sie produktiver nutzen könnte.
Die zündende Idee lieferte ein Erlebnis während seiner College-Zeit. „Die Uni-Zeitung enthüllte in einem Artikel, dass ein neues Gebäude etwa ein Drittel des Astrophysik-Observatoriums versperrte“, erinnert er sich. „Dies löste jede Menge Diskussionen darüber aus, wie Fachkräfte Baupläne überprüfen.“
Dieser Gedanke trug schon bald Früchte. Im Jahr 2015 wurde die Gruppe um Angel eine der ersten, in die Y Combinator investierte, und schuf das erste VR-Visualisierungsprodukt für Architekturbüros, die mit Gewerberäumlichkeiten arbeiten. Fünf Jahre später entstand die Marke Resolve, die schließlich die Treppe ins Nirgendwo verhindern sollte.
Über dieses Vorzeigebeispiel scherzt Angel heute noch. „Ich nehme das immer als Beispiel für ein Missgeschick, das nie passieren sollte – und dann doch passiert ist“, lacht er.
Bemerkenswert ist, dass dieser scheinbar banale Fehler ganz und gar nicht banale Folgen hatte. Gebäude sind vielerorts verbundene Strukturen, und eine kleine Änderung an einer Stelle kann zu dramatischen Veränderungen an einer anderen führen.
„Vielleicht sollte es eine Tür geben, aber weil die Tür nicht eingeplant wurde, hat der*die Statiker*in dort tragende Balken eingesetzt. Infolgedessen wurde also alles im Gebäude davon ausgehend koordiniert, dass es keine Tür geben würde“, so Angel.
Nach Angaben des globalen Versicherers Axa belaufen sich die Kosten für die Beseitigung solcher Fehler, die in der Baubranche auch als Nacharbeiten bekannt sind, auf bis zu 5 % des Vertragswerts eines Projekts. Es ist nicht einfach, diese Kosten genau zu beziffern, doch der Wertverlust könnte bis zu 177 Milliarden USD betragen – und zwar pro Jahr allein in den USA.
Natürlich gibt es Branchen, in denen ein solcher Fehler mehr auslöst als eine verminderte Projektrentabilität. Man denke beispielsweise an Verzögerung beim Bau einer Anlage, die lebensrettende Medikamente herstellen soll, oder ein Problem mit einem Wasserwerk, das die Sicherheit der Wasserversorgung gefährden könnte.
Deshalb ist es so wichtig, das Nutzungserlebnis des alten Prüfverfahrens zu verbessern – was Virtual-Reality-Software gewährleisten kann.
Fehler schon vor Baubeginn zu finden, ist der sicherste und kosteneffizienteste Weg, ihre Auswirkungen zu minimieren – oder wie Angel gern sagt: „Es ist einfacher, Bits als Atome zu bewegen.“ Ein Problem bei Computermodellen ist jedoch, dass Teams sich gedanklich in die Entwürfe hineinversetzen müssen. Ein weiteres Problem ist, dass sie vom Wohlwollen der Person abhängig sind, die dieses Wissen präsentiert. „Möchte sich jemand z. B. die Elektrik ansehen und diese wird nicht gezeigt, ist das eine vertane Chance“, betont er.
Mit Resolve kann jede*r ein eigenes Headset aufsetzen und sich ansehen, was ihm*ihr wichtig ist. Elektriker*innen können die Verkabelung prüfen. Installateur*innen können die Rohre inspizieren. Und alle können dies gleichzeitig tun.
Das Resolve-Team hat außerdem mehrere Funktionen implementiert, um das VR-Nutzungserlebnis in der World zu verbessern, darunter eine Mini-Karte zur Navigation, Schnell-Reiseoptionen und die Möglichkeit, Kommentare zu hinterlassen.
Doch all diese Vorteile für das Nutzungserlebnis bringen auch Herausforderungen mit sich, insbesondere für diejenigen, die technisch weniger versiert sind.
Angel berichtet z. B. von einem Erlebnis bei der Schulung neuer Kund*innen: „Der Controller für die Quest ist den Controllern von Videospielen sehr ähnlich. Daher sagen wir Personen bei der Schulung oft, sie sollen den Joystick nach vorne drücken. Sie wissen aber nicht, was damit gemeint ist – und das sollten sie auch nicht müssen. Ihr Fachwissen bezieht sich auf ein ganz anderes Gebiet.“
Die Lösung des Teams war ebenso einfach wie genial. „Wir haben alle Eingaben farbcodiert, sodass wir z. B. sagen konnten: ‚Drücke den lilafarbenen Joystick nach vorne.‘ Und das Team musste nur nach der richtigen Farbe suchen“, sagte er.
Trotz aller Vorteile ist es noch immer schwierig, Arbeiter*innen davon zu überzeugen, die Virtual-Reality-Software zu nutzen. Viele Personen in der Baubranche haben über viele Jahre hinweg ihre eigenen Verfahren etabliert und perfektioniert – sie arbeiten immer mit denselben Apps, führen dieselben Prüfverfahren durch und folgen denselben Workflows – und haben wenig Interesse, dies zu ändern.
Angel ist sicher, dass die Lösung in der Art und Weise zu finden ist, wie Menschen die VR erleben. „Die Herausforderung besteht darin, die Technologie unsichtbar zu machen“, sagt er. „Deshalb haben wir die Autodesk Construction Cloud integriert, den Branchenstandard für die Zusammenarbeit. Das allein hat den Teams die Adaption sehr erleichtert, da dies schon Teil ihrer Workflows war.“
Durch die Integration der Branchenlösung in die Virtual-Reality-Software wurde Resolve vom Störfaktor zum Wegbereiter. Für die Nutzung ist kein zusätzlicher Arbeitsaufwand erforderlich und die Arbeitsweise der Teams muss sich auch nicht ändern. Damit war der Weg in die VR frei.
Laut Angel verwenden nun viele seiner Kund*innen die Software nach dem Bau für ihre individuellen Zwecke weiter. „Sie beginnen zu verstehen, dass sie den einmal erstellten digitalen Zwilling ihres Gebäudes später für Schulungszwecke nutzen können. Sie könnten beispielsweise einhundert Techniker*innen ins Team holen und diese alles ausprobieren lassen oder den Zwilling für Notfallübungen mit Ersthelfer*innen einsetzen.“
So sind sicherere und effektivere Schulungserlebnisse entstanden, was wiederum zu einer höheren Produktivität und stärkeren Mitarbeitendenbindung in den Unternehmen geführt hat. Und all das war nur möglich, weil sie (genau wie Resolve) das Potenzial der Virtual-Reality-Software erkannt haben.
Angel und sein Team haben das Prüfverfahren in der Baubranche völlig neu erfunden. Indem sie das Nutzungserlebnis in der VR durchgehend nahtlos gestalteten, konnten zahllose Teams unzählige Arbeitsstunden einsparen, ohne das unterbrechen zu müssen, was sie am besten können: entwerfen und bauen.
Dies hat mehr Möglichkeiten eröffnet und zu mehr Erfolgen geführt – und zu weniger Treppen ins Nirgendwo.
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